Sie hat Superman verprügelt, mit Helen Mirren und Jeff Bridges gedreht. In Deutschland hatte Antje Traue lange keine Chance. Jetzt ist sie überall. Ein Gespräch über Turnen, Hollywood und das Glück.
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Diese Geschichte beginnt in Mittweida und hätte leicht woanders enden können als gerade im Berliner Büro von X-Filme. Antje Traue, 1981 in Sachsen geboren, in Genthin aufgewachsen, war schon kurz vor dem Aufgeben, weil sich nichts tat in Deutschland und sie die Miete nicht mehr zahlen konnte. Da bekam sie die weibliche Hauptrolle im deutsch-britischen SciFi-Thriller „Pandorum“, drehte anschließend in Hollywood, war die düstere Kampfprinzessin Faora-Ul im Superman-Film „Man of Steel“. Jetzt ist sie zurück. In Fernsehfilmen wie „Der Fall Barschel“, in Fernsehserien wie „Weinberg“ und demnächst in einer großen Amazon-Prime-Produktion. Und in gleich drei deutschen Kinofilmen allein in diesem Jahr: Wolfgang Petersens „Vier gegen die Bank“, der Post-Stasi-Komödie „Kundschafter des Friedens“ und gerade in Sam Gabarskis Nachkriegsdramödie „Es war einmal in Deutschland“ mit Moritz Bleibtreu.
Die Welt: Was war eigentlich anstrengender, Superman zu verprügeln oder Moritz Bleibtreu stoisch beim Witzeerzählen zuzuschauen, ohne eine Miene verziehen zu dürfen?
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Antje Traue: Also ich habe Moritz gern dabei zugeschaut. Ich mochte die Figur des David gern. Das passte ganz wunderbar. Die Rolle ist ihm ja auch auf den Leib geschrieben.
Die Welt: Aber dieser Bart. War der eigentlich echt? Also gewachsen?
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Traue: Nee, der war ganz speziell angefertigt. Jedes einzelne Barthaar ist einzeln geklebt. Diese Art, einen Bart zu kleben, ist eine Erfindung unseres Maskenbildners. Das hat wunderbar funktioniert. Selbst, als es dann um den Kuss ging, waren wir mit dem Bart auf der sicheren Seite.
Die Welt: Im Gegensatz zu „Man of Steel“ sitzen Sie in „Es war einmal in Deutschland“ vor allem an einem Tisch und schauen streng. War das auch anstrengend?
Traue: Am Ende eines Drehtages merkt man das schon, dass Sitzen Kraft kostet. Ich musste das Vertrauen entwickeln, dass das, was ich spiele und vor allem denke, in der Stille dieses Verhörraums sich vermittelt. Sarah Simon, die einst aus Deutschland geflohene jüdische US-Offizierin, ist ja eine Denkerin, eine Intellektuelle, die versucht, ein Rätsel zu lösen mit dem Gegenüber, im Verhör. Mich immer wieder daran zu erinnern, dass Sarah eine konzentrierte Gesprächspartnerin ist, und sich durch Moritz nicht aus dem Konzept bringen zu lassen, der ja das komplette Gegenteil verkörpert, der sich durchs Leben lügt und witzelt, war schon eine Herausforderung.
Die Welt: Der kann einen schon wuschig quatschen, dieser Bermann. Er quatscht Sie und das, was zwischen Ihnen beiden geschieht, aber auch immer mehr in den Vordergrund.
Traue: Das war schon eine Gratwanderung. Am Anfang sollte das ja vornehmlich ein Film über diese sechs Jungs werden …
Die Welt: … die den Holocaust überlebt haben, den Deutschen weiße Wäsche verkaufen und gewissermaßen von Haustür zu Haustür durch alle Aggregatzustände des Post-Nazi-Deutschland waten, von Trauer und Schuldbewusstsein bis zu unverhohlenem Rest-Antisemitismus.
Traue: David und Sarah sollten der rote Faden durch den Film sein. Und dann trafen Moritz und ich zusammen, und Sam Gabarski hat schnell gemerkt, dass es komplexer ist, als zu Beginn gedacht, was sich da zwischen denen abspielt. Ein bisschen ambivalent bin ich über das Ende.
Die Welt: Wieso?
Traue: Wir haben drei Schlüsse gedreht. Und bei einem sitzt Moritz neben mir vor Bermans, dem Wäscheladen, der wieder geöffnet hat, und der dreibeinige Hund ist da …
Die Welt: … der humpelnde Running-Gag des Films …
… und ein kleiner Junge. Da bin ich Romantikerin, der Film hätte diese Art von Glücklichsein vertragen. Sam Gabarski wollte aber die Melancholie beibehalten, sonst hätte sich das nicht vertragen.
Die Welt: Wäre aber auch ein bisschen komisch gewesen vor dem Abspann. Da steht dann was darüber, dass 4000 Juden in Deutschland geblieben sind, und keiner weiß, warum eigentlich. Am Ende sitzen alle da und feiern Amerika und wollen am liebsten gleich los. Und dann hört man vom Antisemitismus, der aufblüht unter Trump. Geschichtenerzählen als Vorbeugung gegen Rassismus hat ja – den Eindruck kann man gerade wieder gewinnen – nicht richtig funktioniert.
Traue: Wir dürfen nicht müde werden, sie zu erzählen, diese Geschichte. Das größte Verbrechen ist das Vergessen. Meine Großmutter zum Beispiel. Der fällt es immer noch schwer, von damals zu erzählen. Sie sagt aber auch, wir dürfen es nicht leid werden. „,Es war einmal in Deutschland‘ berührt mich, der hat ein großes Herz, der sickert so leise in mich rein, erst Tage später habe ich gemerkt, was er in mir ausgelöst hat. Unser großes Problem ist, glaube ich, dass wir dafür nicht mehr viel Platz haben in unserem Leben. Für dieses Innehalten und das Nachspüren. Trotzdem bleiben die Geschichten das Einzige, was wir haben.
Die Welt: Sarah Simon ist ja eher durch Zufall auf Sie gekommen. Was ja irgendwie passt. Sie sind ja überhaupt auf einem Umweg bis hierher und in die Spitze der deutschen Darstellerinnenriege gekommen. Auf der Schauspielschule waren Sie ja nie.
Traue: Nein. Ich bin mit 16 direkt auf die Bühne, durfte in München die Hauptrolle in der „Westend-Opera“ Spielen. Und im Nachhinein muss ich sagen, dass dieses Prinzip, dieses einfach machen, eine gute Schule war. Viele Freunde von mir haben sich nach der Schauspielschule nicht mehr wiedergefunden in ihrer Art des Spielens. Die sind dann so weggetragen worden von dem, was sie auf der Schule gemacht haben. Die konnten sich bis heute nicht etablieren, was ganz tragisch ist, weil die so etwas Natürliches in ihrem Spiel hatten, was Andersartiges, das heute vielleicht wieder gesucht würde im deutschen Film.
Die Welt: Man selber zu werden, ist einfacher abseits der Schulen. Aber härter ist der Weg schon.
Traue: Man ist der Kritik anders ausgesetzt. Die Schauspielschule schützt einen ja auch in vielen Dingen. Es gab viele Momente, in denen ich einsehen musste, das war jetzt nichts, dass ich drohte, vom Weg abzukommen. Das aber, glaube ich, ist in diesem Autodidaktsein eines der wichtigsten Dinge, dass man eine Vorstellung von diesem Weg entwickelt und die Orientierung nicht verliert, dass man immer wieder dahin zurückkommt und sich nicht verzettelt, sich nicht vergisst, nicht verliert.
Die Welt: Das wäre Ihnen hier in Deutschland aber beinahe passiert. Bis Sie dann „Pandorum“ drehten und die Tür nach Hollywood aufging. Was ist in Los Angeles mit Ihnen passiert?
Traue: Ich hab mich da einfach frei gespielt, bin da sehr willkommen geheißen worden und durfte in großen Filmen spielen. Ein Selbstbewusstsein habe ich mir da wieder angezogen, das mir hier in Deutschland verloren gegangen war. Dieses amerikanische Prinzip, das Schöne an dir zu finden und nicht den Fehler an dir zu suchen, das hat mir sehr geholfen.
Die Welt: Was war denn um Himmels Willen der Fehler an Ihnen, dass Sie hier beinahe die Miete nicht mehr zahlen konnten und angefangen hätten, das war Ihre Exitstrategie, Medizin zu studieren?
Traue: Exitstrategie war das ja nicht unbedingt. Das war ein bedrohlicher Zustand im wahrsten Sinne des Wortes. Ich stand ja regelmäßig kurz davor, besetzt zu werden. Und habe dann damals immer wieder zu hören bekommen, mein Gesicht passe nicht in Deutschland. Da wurde das Mädchen von nebenan gesucht. Das durfte – gerade visuell – nicht zu unbequem, nicht „gefährlich“ sein.
Die Welt: Aber dieses Kippenkönnen Ihres Gesichtes, dass Sie immer zwei Geschichten gleichzeitig erzählen können, auch ohne viel zu sagen, das ist doch gerade das, was in „Kundschafter des Friedens“, in „Tempel“, „Mordkommission Berlin 1“ und auch in „Es war einmal in Deutschland“ Ihre Rolle lebendig macht.
Traue: Wollte hier aber niemand. Dagegen anzukämpfen, gab ich irgendwann auf. Das Gesicht, das ich habe, ist halt das, was ich bekommen habe. Dann bin ich losgegangen, nach Amerika. Die Amerikaner haben das angenommen. Die haben sich das zu eigen, zunutze gemacht.
Die Welt: Jetzt ist auch in Deutschland alles wieder gut. Drei deutsche Filme im Kino, Serien, Fernsehfilme. Läuft bei Ihnen. Werden die Rollen für Frauen insgesamt interessanter, wird Ihnen mehr an Zwielichtigkeit zugetraut?
Traue: Ich glaube schon. Nicht nur Zwielichtigkeit, vielmehr Vielseitigkeit. Frauen müssen ihr Unterbewusstes immer weniger verleugnen, dürfen die Dinge, die sich hinter der Fassade abspielen, herauslassen, kommen raus aus dem Tabu. Mit dem Alter werden die Rollen sowieso vielschichtiger, interessanter, komplexer.
Die Welt: Reden wir mal über Ihren Körper. Ich habe vor Kurzem mit Ronald Zehrfeld länger auch über Körperlichkeit beim Spielen gesprochen …
Traue: Mit dem habe ich meinen ersten Kurzfilm gemacht. „Goldjunge“ hieß der. Da kam er frisch von der Schule. Wir werden auch demnächst zusammen drehen. „Das dritte Sterben“. Einen Politthriller. Philipp Leinemann macht Regie. Ronnie und Alexander Fehlingspielen die Hauptrollen.
Die Welt: Zehrfeld erzählte, dass er immer noch auch davon lebt, dass er in seiner Jugend gewissermaßen professionell Judo gemacht hat, der wäre ja, wenn die Mauer nicht gefallen wäre, wahrscheinlich DDR-Judo-Olympionike geworden. Ist das bei Ihnen und mit dem Turnen so ähnlich?
Traue: Ich mag das schon sehr, über den Körper ein Bild zu schaffen, besser: eine Energie. Es geht aber nicht nur um Bewegungen, um Haltungen. Es geht auch um Dinge wie Disziplin, Fleiß, um die Fähigkeit, konzentriert nach vorne zu schauen. Ich habe damals ja auch große Wettkämpfe geturnt, das war wirklich wichtig in meinem Leben. Die Beweglichkeit des Körpers ist bis heute ein großes Geschenk. Ich habe immer noch ein gutes Verhältnis zu meinem Körper, glaube auch, dass ich deswegen selten krank bin. Ich kann mir zum Beispiel gar nicht vorstellen, dass ich mich vier oder fünf Tage mit Fieber durch die Welt schleppe und dann erst merke, dass ich nicht mehr kann. Dieses Aufsichaufpassenkönnen, einen unmittelbaren Kontakt zum Körper zu haben, das habe ich damals gelernt. Und davon zehre ich sehr. Das hilft auch dabei, sich verändern zu können, beim Zunehmen, Abnehmen, beim Wirkungherstellen durch Haltung. Ich habe schnell eine Vorstellung davon, wie ich meinen Körper in einem Kostüm trage.
Die Welt: Es sind ja gerade die kleinen Dinge im Kino und auch im Fernsehen. Die werden extrem vergrößert. Da muss man sich geradezu klein machen. Minimalist werden. Das können Sie ganz prima. In „Es war einmal in Deutschland“ braucht es gefühlt Stunden, bis Sie einmal lächeln. Ansonsten sitzen Sie ungeheuer beredt stoischen Gesichts den Monologen von Moritz Bleibtreu gegenüber.
Traue: „Das sollten Sie öfter tun“, sagt er dann. Stimmt. Ich habe ja auch Theater gemacht. Mir liegt aber die Kamera viel mehr. Das große Spielen für die letzte Reihe war nicht so meine Art zu spielen. Ich mag es, wenn mir die Kamera beim Denken zusieht. Ich bin ja kein zierliches Wesen, wie das andere Schauspielerinnen sind, auch in Hollywood übrigens. Das sind ja sehr kleine Menschen, auch die Männer, die dann im Kino riesengroß wirken. Mir hat das sicherlich auch manchmal im Weg gestanden, mir häufig das Gefühl gegeben, dass ich nicht in diese Welt passe. Wenn ich Kolleginnen neben mir, vor mir stehen hatte, dachte ich, irgendwie sehen die doch anders aus, die haben ja ganz andere Körper. Das hat mich schon beschäftigt, wie ich da meinen Weg finden kann.
Die Welt: Und jetzt? Weg gefunden?
Traue: Ich bin jetzt zum ersten Mal in der Situation, dass ich planen kann, sagen kann, was ich gern entwickeln würde. Das ist neu für mich. Und ich genieße das schon sehr. Ich merke, dass ich mich manchmal gern im Zustand des Darübernachdenkens aufhalte darüber, was jetzt gerade für mich gut wäre. Ich habe aber komischerweise auch das Gefühl, dass die Rollen nicht umsonst zu mir gekommen sind, dass sie etwas mit meiner Lebenswirklichkeit zu tun haben.
Die Welt: Das müssen Sie jetzt erklären.
Traue: Meine letzten drei Filme, das war die Trilogie einer Figur, die Fragen stellt, die erst einmal zuhört. Die ist ja eher zufällig zustande gekommen, die Trilogie, weil ich für „Es war einmal in Deutschland“ ja gar nicht vorgesehen war. Es kamen in diesen drei Filmen eben die Dinge vor, die mich in der Zeit, in der die Drehbücher zu mir kamen, interessiert haben. Wie kann ich durch ein minimalistisches Spiel, durch ganz wenig ganz viel erzählen? Da geht es mir gar nicht so um Themen, sondern darum, was macht die Figur, was kann ich in ihr ausprobieren, entdecken. Es sind mehr Experimente als Anlässe, mich partout zu veräußern. Ich bin sehr froh, wo ich gerade bin, dass ich in meinem Spiel da langsam hinkomme, wie es mir entspricht. ß zwar nicht, ob ich die Schauspielerin sein kann, die ich gern sein möchte, aber an sich selbst Fragen zu stellen, gehört zu diesem Beruf.
Die Welt: Wie haben Sie eigentlich Ihren deutschen Akzent weggekriegt? Sie haben zwar in großen amerikanischen Produktionen gespielt. Aber nie so die typischen deutschen Rollen.
Traue: In der Schule habe ich mich extrem schwergetan damit. Eine Schule ist, finde ich jedenfalls, fürs Erlernen einer Sprache ein sehr ungeeigneter Ort. Weil man sich einfach schämt und sich nicht traut. Zu Hause habe ich viel englische Musik gehört, die Texte gelesen mit der Übersetzung. Dann habe ich eine Zeit in Kanada gelebt. Ich habe zugehört und war fleißig, ich wollte das richtig sprechen. Meinen Freunden habe ich deswegen immer gesagt, auch wenn ihr das niedlich findet, wenn ich Fehler mache, korrigiert mich. Niedlich nutzt nichts. Mit dem Sprachelernen ist es ein bisschen wie mit dem Humor. Man muss den Mut haben, zu scheitern, muss die Kontrolle aufgeben. Wenn ich zu ordentlich sein will und Angst habe, dass die Leute über mich lachen, schaffe ich das nie.
Die Welt: Verkrampfen ist immer schlecht.
Traue: Genau. Das wär doch eine prima Überschrift.
Die Welt: Christoph Waltz kriegt das aber nicht hin. Dem hört man den Österreicher immer noch an.
Traue: Mir hat man immer gesagt, ich hätte Talent für Sprache. Außerdem war es für mich ja nie so, dass ich, koste es, was es wolle, nach Amerika gegangen bin. Ich hatte diesen einen Moment in Babelsberg …
Die Welt: … den „Pandorum“-Moment …
Traue: Danach kam eins zum andern, war nicht planbar. Mir wurde übrigens noch nie eine Nazi-Rolle zum Spielen angeboten.
Die Welt: Lucky you. Möge es so bleiben. Und: Vielen Dank für das Gespräch.